Monogamie: Falle oder Chance

Vor einigen Tagen las ich in der Online-Ausgabe der Zeitung „Die Welt“ einen Artikel mit dem Titel „Warum die Monogamie Liebe und Sex zerstört“. Der Autor Roland Mischke stellte am Ende seines Artikels heraus, dass Monogamie nur als Toleranzverhalten im Alter, wenn die Leidenschaft der Liebe auch zu tiefer Freundschaft geführt habe, funktioniere. Zitat:“Ältere Paare (über 60) bleiben meist loyal und zusammen, jüngere (bis circa 40) trennen sich. Wer sich nicht trennen will, muss in den mittleren Jahren sehr kreativ sein, für Jüngere aber (unter 30) ist Monogamie eine Falle.“ Er begründet dies unter anderen damit, dass allenfalls drei bis fünf Prozent der Säugetiere der Monogamie anhängen. Weiter zitiert er den Evolutionsbiologen Eckart Voland, für welchen Monogamie ein Kompromiss, eine „seltene historische Ausnahme“ und gegen die „evolutionäre Programmanweisung“ sei. Als einzige Möglichkeit, um Sex auch nach Jahren noch befriedigend erleben zu können, müssen, nach Mischke in einer Partnerschaft Situationen entstehen, die ein Mindestmaß an Distanz und Fremdheit gewährleisten. Was genau darunter zu verstehen ist, lässt er leider offen. Dem Tenor seines Artikels folgend, schließe ich aber daraus, dass damit sexuelle Kontakte zu anderen Menschen, außerhalb der Partnerschaft gemeint sein könnten.
Roland Mischke legt den Schwerpunkt seines Artikels auf empirische Forschungsergebnisse aus der Biologie, Ethnologie, Psychologie und Anthropologie. Diese allein betrachtet, zeichnen nach meinem Empfinden aber ein sehr düsteres Bild von Liebe, Sexualität und Partnerschaft. Es ist etwas, was auch nicht wirklich überrascht und was uns in unserer Not wenig Halt gibt. Den Versuch dem schwindenden sexuellen Verlangen in Partnerschaften durch Seitensprünge oder offene Beziehungskonzepte entgegenzuwirken, halte ich außerdem für kaum erfolgversprechend.
David Schnarch, einer der aktuell innovativsten Paar- und Sexualtherapeuten, zeichnet in seinem Buch „Intimität und Verlangen“ ein anderes Bild von der Monogamie und setzt damit ein Gegengewicht zu einer allzu biologistischen Sichtweise auf die menschliche Sexualität. Laut Schnarch beeinflussen Kämpfe um das Selbstempfinden das sexuelle Verlangen wesentlich stärker, als der hormongesteuerte Sexualtrieb. Er stellt weiter fest, dass die Gefahr, dass das sexuelle Verlangen in dauerhaften Beziehungen abnimmt, umso höher ist, desto mehr die Partner in der Partnerschaft ihre persönlichen Schwächen kompensieren. Monogamie verstärke den „Zusammengehörigkeitsdruck“, der bei Paaren im Zustand emotionaler Verschmelzung bestehe und wirke daher wie eine Art Katalysator für schon bestehende Probleme. Monogamie könne daher leicht mißbraucht werden, wenn zum Beispiel ein Partner sein geschwächtes Selbstwertgefühl dadurch aufbessert, indem er das Gefühl ausnutze, einen Besitzanspruch auf den Partner zu haben. In solch einem Fall rufe Monogamie ein Gefühl der Tyrannei und des Autonomieverlustes hervor.
Monogamie könne sich aber laut Schnarch sogar positiv auf die Persönlichkeitsentwicklung auswirken, da wir in Auseinandersetzung mit ihr das sexuelle Verlangen, das verpflichtende Engagement im Rahmen einer Beziehung und die Weigerung, sich tyrannischen Tendenzen zu unterwerfen, im Blick behalten. So werde Monogamie zu einer Strategie, die Menschen dazu bringen kann, ihre Beziehung zu sich selbst zu verbessern, indem wir:

  • ein klares Bild davon entwickeln, wie attraktiv wir für andere sind,
  • besser bei unseren Bedürfnissen bleiben, wenn unser Partner uns zu etwas drängt,
  • die eigenen Enttäuschungen und Ängste besser beruhigen,
  • uns dem Partner gegenüber weniger defensiv verhalten und
  • wir Schwierigkeiten durchstehen, statt aufzugeben.

Schnarch sieht folgende Alternativen zur Verringerung der emotionalen Verschmelzung, jenseits von Affären und „offenen Beziehungen“:

  • Behalten Sie im Auge, was wirklich wichtig für Sie ist.
  • Achten Sie auf maßvolle Reaktionen.
  • Handeln Sie weder impulsiv noch rachsüchtig.
  • Setzen Sie sich damit auseinander, was Sie tatsächlich tun – sich selbst und ihrem Partner gegenüber.

„Wenn Sie sich mit sich selbst konfrontieren, kann ihr Partner Sie nicht mehr manipulieren, indem er Ihnen ihre Fehler und Mängel vorhält.“ Dies nennt Schnarch den Prozess der Differenzierung. So werde Monogamie zu einer Verpflichtung sich selbst gegenüber, statt zu einem Versprechen dem Partner gegenüber. „Diese Art von Monogamie regt zur Großzügigkeit an, statt dem anderen etwas vorzuenthalten, und sie führt zur Freiheit statt zur Tyrannei. … Monogamie bei einem hohen Differenzierungsgrad stärkt das sexuelle Verlangen. ... Dies wiederum bedeutet natürlich nicht, dass wir uns nicht mehr von bestimmten Menschen sexuell angezogen fühlen werden. Es hilft aber dabei sexuelle Anspannung zu ertragen und adäquat damit umzugehen.“(Schnarch, 2011)

Mischke, Roland (2014). Warum die Monogamie Liebe und Sex zerstört. www.welt.de.
Schnarch, David (2011). Intimität und Verlangen. Stuttgart: Klett-Cotta.

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