PEGIDA und das iPhone 6

Ich bin zur Zeit, wie viele andere Menschen auch, beunruhigt über die nun regelmäßig stattfindenden PEGIDA-Demonstrationen in Dresden. Fast beängstigend finde ich die stetig steigenden Teilnehmerzahlen. Die Fragestellungen, die sich damit verbinden, müssen sicher hauptsächlich auf politischer Ebene beantwortet werden. In meiner Rolle als Psychotherapeut ist es mir trotzdem wichtig Stellung zu beziehen. Bei der Arbeit mit traumatisierten Menschen, also Opfern jeglicher Art, muss ich mir die Frage nach Recht und Unrecht, nach Opfer und Täter immer wieder stellen und beantworten. Dies ist notwendig, um angemessen mit traumatisierten Menschen arbeiten zu können. Um das notwendige Gefühl von Sicherheit wiederzuerlangen brauchen Traumatisierte, in diesem Fall Flüchtlinge, ein sicheres Umfeld. Dieses ist meines Erachtens nicht gegeben, wenn sie direkten oder indirekten Anfeindungen ausgesetzt sind. Ich bin davon überzeugt, dass diese Art der Nachtraumatisierung eine Heilung sehr stark negativ beeinflusst beziehungsweise unmöglich macht. Ich kann mich daher nur für einen unbedingten Flüchtlingsschutz aussprechen.

Einige andere Fragen, die ich mir im Bezug auf die PEGIDA-Demonstrationen stelle, beziehen sich auf die Motive der Menschen, die jetzt so zahlreich auf die Straße gehen. Warum und warum gerade jetzt? Warum in Sachsen? Nach meiner Erfahrung werden Menschen in der Regel erst dann aktiv, wenn sie persönlich von etwas betroffen sind. Wie kann ein so geringer Ausländeranteil, wie er in Sachsen vorherrscht, so eine persönliche Betroffenheit, ja Angst vor Überfremdung auslösen? Der Ausländeranteil in Sachsen beträgt derzeit etwa 2,5 %, im Gegensatz zum Bundesdurchschnitt von etwa 8,7 %. Laut meiner Recherche befinden sich in Sachsen derzeit 12 Moscheen, demgegenüber stehen (wenn man das als unsere Kultur bezeichnen möchte) 765 evangelisch-lutherische Landeskirchengemeinden, 97 katholische Pfarreien und eine unbestimmte Zahl an freikirchlichen Gemeinden. Im Verhältnis dazu hätte ja die Einführung der Hartz IV-Gesetze viel mehr Menschen auf die Straße bringen müssen, als es tatsächlich der Fall war, weil es da um eine direkte und spürbare Bedrohung der finanziellen Sicherheit von sehr vielen Menschen ging. Welche kulturellen Werte sind eigentlich bedroht? Handelt es sich da möglicherweise um eine Projektion diesbezüglich, dass alle Menschen, welche eine starke Kultur verkörpern, als bedrohend erlebt werden, weil einem dann bewusst wird, dass man selbst sehr wenig „Kultur“ hat?
Ich möchte jetzt nicht flapsig erscheinen und entschuldige mich schon mal im Voraus für einen sicher sehr gewagten Gedankengang, aber: Die in Deutschland meist gegoogelten Suchbegriffe 2014 waren: WM 2014, Michael Schumacher, iPhone 6, Immobilienscout24, BSI Sicherheitstest, Robin Williams, Dschungelcamp 2014 und Conchita Wurst. Das, womit ich mich beschäftige, macht nun mal auch meine Kultur aus. Wäre es dann nicht besser, die möglicherweise bestehende Leere sinnvoll zu füllen, anstatt schutzsuchende Menschen vorschnell als Bedrohung zu verurteilen? Politisch und psychologisch betrachtet ist es viel leichter, gegen etwas als für etwas zu sein. Natürlich sollte man im Angesicht einer tatsächlichen Bedrohung auch radikal dagegen sein und sich verteidigen. Aber ist eine solche Bedrohung durch Flüchtlinge aus anderen Kulturen tatsächlich vorhanden?

Ein anderer Aspekt berührt das Thema der Angst. Bei der Behandlung von Angsterkrankungen ist es eine wesentliche Aufgabe von Psychotherapie, unrealistische von realistischen Ängsten zu unterscheiden. Ich könnte mir vorstellen, dass uns das Wesen der Angst und die Angstentstehung im Rahmen von Angsterkrankungen eine weitere Erklärung für das Phänomen der PEGIDA-Demonstrationen liefern könnten. Meine Gedanken dazu sind allerdings noch nicht ausgereift und würden auch den Rahmen dieses Artikels sprengen.

Ich möchte zum Abschluss noch einmal betonen, dass meine Gedanken und Theorien sicher nur einen kleinen Teilaspekt der ganzen Fragen um die PEGIDA-Demonstrationen berühren. Die wachsende Bedrohung zum Beispiel durch den IS und den Umgang der Medien damit darf man natürlich keinesfalls außer acht lassen.

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