Thema Paartherapie: Kompromisse in Paarbeziehungen

In Gesprächen mit Paaren fällt mir immer wieder ein bestimmtes Muster auf, welches sich zeigt, wenn Partner versuchen, Kompromisse zu schließen. Dieses Muster führt nach meiner Beobachtung meist zu tiefen Verletzungen, Kränkungen und daraus resultierenden schwer zu entwirrenden Streitigkeiten bis hin zur Trennungen. Ich glaube, dass die Kompromissschließung bei Paaren ein hoch komplexes Geschehen ist, bei dessen genauerer Beobachtung man viel über die Paardynamik und letztendlich auch über sich selbst erfahren kann.
Ich möchte an dieser Stelle erst einmal einen „idealtypischen“ Verlauf einer Kompromissschließung darstellen:
1. Beide Partner nehmen ihre eigenen Gefühle, Bedürfnisse und Wünsche im Bezug auf ein bestimmtes Thema wahr.
2. Beide Partner teilen diese dann ihrem Partner direkt mit.
3. Jeder Partner versucht den jeweils anderen Partner in seinen Äußerungen und seiner Situation zu verstehen.
4. Nun findet das eigentliche Verhandeln, durch gegenseitige Zugeständnisse statt. Im günstigsten Fall entsteht dann eine Win-Win-Situation,  bei der beide Partner einen Nutzen erzielen oder die Partner einigen sich darauf, dass diesmal nur einer der beiden Partner profitiert und später ein angemessener Ausgleich geschaffen wird.    
Interessanterweise fällt es den Partnern in der Regel nicht schwer zu verhandeln (4), sondern an diesem Punkt anzukommen. Ich stelle zum Beispiel häufig fest, dass das „Hineindenken“ in den Partner (3) schon bei Punkt 1 stattfindet und dann verhindert, dass die eigenen Wünsche und Bedürfnisse überhaupt wahrgenommen werden oder die eigenen Bedürfnisse werden zwar wahrgenommen, aber dem Partner gegenüber (2) nicht geäußert. Natürlich kann es in beiden Fällen zu keiner sinnvollen und befriedigenden Kompromissschließung kommen. Nach meiner Erfahrung sind die Grundlagen solcher Verhaltensweisen oft Ängste und negative Beziehungserfahrungen, die nicht selten bis in die Kindheit hineinreichen. Ich stelle aber auch fest, dass viele Menschen ihrem Partner gar nicht mehr zuhören können, weil sie ihn so gut zu kennen meinen und nicht einmal die Möglichkeit in Betracht ziehen, er oder sie könnte seinen Standpunkt verändert haben.

Ich komme nun zur Beschreibung meines eingangs erwähnten Musters. Wie gerade beschrieben, kommt es eben nicht zur einer direkten Äußerung der eigenen Bedürfnisse und Wünsche an den Partner. Vielmehr wird phantasiert, welche Bedürfnisse und Wünsche der Partner haben könnte oder wie der Partner auf die eigenen Wünsche und Bedürfnisse wohl reagieren wird. Der Kompromiss wird dann in der Phantasie vorweggenommen, mit dem Ziel möglichst wenig Reibung zu erzeugen und Streit, Ablehnung und Kränkung etc. zu verhindern. Es kommt aber noch viel schlimmer, denn dieser selbst beschlossene Kompromiss wird dann dem Partner mitgeteilt, ohne ihn darauf hinzuweisen, dass dies bereits der Kompromiss ist und nicht die direkte Äußerung der eigenen Befindlichkeit. Der Partner wird also in die Irre geführt und reagiert nun so, wie es bei einer Kompromissschließung üblich ist und verhandelt mit dem Partner oder ist einfach zufrieden, weil sein Partner scheinbar ähnlich wie er selbst empfindet. Diese Möglichkeit der Kompromissschließung verhindert natürlich erst einmal kurzfristig Auseinandersetzungen und vermittelt ein Bild von Harmonie zwischen den Partnern. Nun ist es aber so, dass die Bedürfnisse des Partners, der den geheimen Kompromiss geschlossen hat, nicht erfüllt werden und auch nicht erfüllt werden können. Dies erzeugt Unzufriedenheit. Für diese Unzufriedenheit wird nun der Partner heimlich verantwortlich gemacht, denn er hat ja bekommen was er wollte. Dies äußert sich nicht selten in schlechter Laune, gereizter Stimmung, schnippischen Bemerkungen Sex- und  Liebesentzug und für den Partner nicht nachvollziehbaren Vorwürfen. Darauf wiederum reagiert nun (zurecht) der Partner und es entsteht ein Teufelskreis gegenseitiger Verletzungen. Erschwerend kommt dann noch hinzu, dass meist mehrere dieser Teufelskreise bestehen, weil Paare in der Regel ein dominierendes Muster bei der Kompromissschließung haben.
Ist ein Paar erst einmal in dieser Dynamik gefangen, gelingt es nur sehr schwer, dort ohne fremde Unterstützung hinauszugelangen. Es gibt aber viel Möglichkeiten, es gar nicht erst so weit kommen zu lassen. Zum Beispiel können beide Partner gemeinsam überlegen, nach welchem Muster sie in der Regel Kompromisse schließen und mit welchen Strategien es ihnen möglich ist, dieses Muster zu unterbrechen. Um herauszufinden, ob die Ängste und Befürchtungen angemessen sind, kann man in der Phantasie einmal durchspielen, was im schlimmsten Fall passieren kann, wenn man seine Wünsche und Bedürfnisse dem Partner gegenüber äußert. In der Regel entdeckt man dann, dass eigentlich nichts schlimmes passieren kann. Die Grundlage dafür, überhaupt etwas verändern zu können, ist natürlich ein gewisses Maß an innerer Stabilität ,um die damit verbundenen Spannungen und Dissonanzen auszuhalten, denn gerade das Fehlen dieser inneren Stabilität ist die Ursache für das Aufrechterhaltung schädigender Beziehungsmuster.
Eine Auseinandersetzung mit der eigenen Lebensgeschichte ist sicher immer dann sinnvoll, wenn man das eigenen Verhalten und Empfinden selbst nicht richtig versteht.
Ich denke, dass das Schließen von Kompromissen elementarer Bestandteil einer jeden Partnerschaft ist und dass das Erreichen befriedigender Lösungen eine wichtige Grundlage für das Gelingen und die Qualität der Beziehung darstellt.

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